Manchmal entstehen die wichtigsten Gedanken an unerwarteten Orten.
In Kommentarspalten. Zwischen kurzen Sätzen fremder Menschen, die plötzlich etwas Gemeinsames sichtbar machen.
So auch in der Kommentarspalte eines Youtube Videos.
Viele der Kommentare erzählten von Alltag.
Von Kindern.
Von Müdigkeit.
Von anhaltenden Schmerzen.
Von Lebensphasen, in denen es weniger ums Gestalten ging – und mehr ums Funktionieren.
Und immer wieder tauchte dabei etwas auf, das erstaunlich schlicht war:
Bunte Stifte.
Nadel und Faden.
Strick- oder Häkelnadeln.
Ton in den Händen.
Ein Malbuch für Erwachsene.
Nicht als großes Projekt.
Nicht stundenlang.
Oft nur ein paar Minuten am Tag.
Eine Person schrieb, es sei manchmal das Einzige gewesen, das am Ende des Tages noch sichtbar war.
Etwas, das blieb.
Denn vieles im Alltag verschwindet sofort wieder:
Aufräumen. Putzen. Wäsche.
Am nächsten Tag beginnt alles von vorn.
Ein paar Maschen bleiben.
Eine kleine Schale aus Ton steht noch da.
Etwas Selbstgemachtes, das nicht sofort wieder aufgelöst wird.
Und genau das macht einen Unterschied.
Was kreatives Tun im Alltag bewirken kann
Aus ergotherapeutischer Perspektive ist das gut nachvollziehbar:
Kreatives, handlungsorientiertes Tun
bringt Aufmerksamkeit zurück in die Hände
verlangsamt
strukturiert
schafft ein Gefühl von Ordnung und Übersicht
Ohne Ziel.
Ohne Leistungsanspruch.
Es geht dabei nicht um „schöne Ergebnisse“.
Sondern um das Erleben währenddessen.
Viele Menschen berichten, dass genau diese Tätigkeiten helfen, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen. Der Körper kommt ins Tun, der Kopf darf leiser werden.
Oft geht es nicht um Zeit – sondern um Erlaubnis
Es fehlt meist nicht an Zeit.
Sondern an Erlaubnis.
Die Erlaubnis,
etwas zu tun, das keinen Zweck erfüllen muss
Hilfe anzunehmen
Kreativität nicht ans Ende der To-do-Liste zu schieben
Viele verlieren den Zugang zu solchen Tätigkeiten in fordernden Lebensphasen:
bei Krankheit, hoher Belastung, in der Elternschaft oder nach längeren Stresszeiten.
Und viele finden ihn Jahre später wieder.
Leise.
Unauffällig.
Aber spürbar.
Kleine Handlungen, große Wirkung
Manche tragen ihr Handarbeitsprojekt überall mit sich.
Andere sammeln Worte, Farben oder Bilder in einem Heft.
Wieder andere stellen ihre Keramiken einfach ins Wohnzimmer – nicht für einen Anlass, sondern weil sie da sein dürfen.
Das sind keine „Hobbys“ im klassischen Sinn.
Es sind Rückverbindungen.
Zum Körper.
Zu den Händen.
Zu einem Tempo, das langsamer ist als der Kopf.
Vielleicht nicht heute eine Stunde
Gerade im vollen Alltag denken viele:
Dafür habe ich keinen Raum.
Dann vielleicht heute keine Stunde.
Vielleicht nur drei Minuten.
Nicht, um etwas zu schaffen.
Sondern um kurz bei sich anzukommen.
Kreativität ist kein weiterer Punkt auf der Liste.
Sie ist oft der Ort, an dem es still wird.
Und manchmal reicht genau das.
