Warum im Tun etwas Heilsames zu finden ist

Warum der Körper der bessere Therapeut sein kann

Es gibt etwas an der Art, wie das Leben sich bewegt, das uns ständig vergessen lässt, dass es jetzt gerade geschieht.

Wir verbringen so viel Energie damit, alte Gespräche wieder und wieder abzuspielen, Pläne für Dinge zu schmieden, die noch gar nicht passiert sind, oder durch die Leben anderer zu scrollen – anstatt unser eigenes zu leben.

Präsenz – wirkliche, volle, leibhaftige Präsenz – kommt fast selten zu einem. Als würde man zufällig hinein stolpern, statt sie bewusst zu kultivieren. Dabei liegt genau hier der Schlüssel: Das Leben passiert nicht in der Vergangenheit. Es wartet auch nicht auf dich in der Zukunft. Es passiert jetzt – in den unscheinbaren Momenten. Im Geschmack deines Kaffees am Morgen. Im Geräusch des Windes draußen. In einem Lachen mit einer Fremden an der Supermarktkasse.

Was Raum bekommt, breitet sich aus. Gedanken, Gefühle, Sorgen – sie wachsen, sobald wir ihnen innerlich Platz machen. Mit der Zeit ist es ähnlich: Aufgaben dehnen sich, Projekte wachsen. Nicht, weil deine Kapazität sich verändert, sondern weil dein Umgang sich verändert. Und genau dort beginnt Heilung.

Zwischen Grübeln und Gegenwart

„Wir müssen Patient:innen vor allem beibringen, voll und ganz – und vor allem sicher – in der Gegenwart zu leben.“
So formulierte es Bessel van der Kolk. Und in diesem Satz liegt eine stille Wahrheit: Grübeln verändert nichts. Leben geschieht im Tun.

Natürlich kennen wir alle die endlosen Gedankenschleifen. Dieses Karussell, das sich immer schneller dreht, bis man keinen klaren Blick mehr auf sich selbst hat. Lässt du es laufen, setzen sich diese Stimmen in deinem Kopf fest wie Gäste, die nicht mehr gehen wollen. Und plötzlich jagt sich alles im Kreis.

Doch während der Kopf kreist, bleibt der Körper klar. Dort liegt die Antwort.

Wenn Reden nicht reicht

Wir können sprechen, reflektieren, analysieren. Es bringt Einsichten, ja. Manchmal auch Perspektivwechsel. Aber van der Kolk erinnert uns: Der rationale Teil unseres Gehirns ist nicht in der Lage, dem emotionalen Teil seine Sicht „auszureden“.

Deshalb braucht es mehr als Worte.

Der Körper als Brücke zur Heilung

Es sind die kleinen Handlungen, die uns zurückholen. Sinnvolle Aktivität, die uns wieder in Kontakt bringt - mit uns selbst und mit dem Moment.

Ich spüre es beim Töpfern.
Beim Suchen nach einem Platz am See, wo wir Malbücher aufschlagen und alberne Cartoons zeichnen.
Beim Nebeneinander Unkrautjäten.

Manche meiner wertvollsten Gespräche fanden nicht am Tisch statt, sondern unterwegs - im Auto, während jemand fuhr, die Hände beschäftigt, die Gedanken freier. Genau da, wo der Körper etwas tut, beginnt das Herz zu sprechen.


Warum Handlungen den Verstand entlasten

Neurowissenschaftlich ist das gut erklärbar: Sobald unser Körper in eine rhythmische, einfache Bewegung eingebunden ist, wie Spazieren, töpfern oder Jäten, kommt das Gehirn in einen Zustand, der dem Flow ähnelt. Der präfrontale Kortex, zuständig für Selbstkritik und Grübelei, wird weniger dominant - während das emotionale System sicher eingebettet wird.

Der Garten. Das Fahrrad. Der Wanderweg.

Wann haben wir vergessen, dass das heilsam sein kann?

Nicht, dass der Garten allein heilt. Und bitte, schick niemanden mit einer schweren Depression einfach "mal raus an die frische Luft." So einfach ist es nicht. Und doch: Für viele Menschen ist es ein Baustein – manchmal ein riesengroßer – auf ihrem Weg zur Heilung.

Aus der Forschung: Körperorientierte Heilung wissenschaftlich betrachtet

Bessel van der Kolk, Autor des Bestsellers "The Body Keeps the Score" (Das Trauma in dir. Wie der Körper den Schrecken festhält und wie wir heilen können.), beschreibt eindrücklich, dass traumatische Erfahrungen und chronischer Stress nicht allein über Sprache verarbeitet werden können. Sie hinterlassen Spuren im Körpergedächtnis - in Muskeln, Nervensystem und Haltungsgewohnheiten.

Seine These:

„Recovery from trauma involves learning to inhabit one’s body safely again.“


Auch Daniel Siegel (The Mindful Brain) und Peter Levine (Waking the Tiger) weisen auf die Bedeutung körperorientierter Methoden hin. Körpertherapien, wie sie auch in der Ergotherapie Anwendung finden, helfen, das Nervensystem zu regulieren und wieder Sicherheit im eigenen Erleben herzustellen.

Studien belegen, dass sinnvolle Tätigkeiten, die Selbstwirksamkeit und Freude vermitteln, die Ausschüttung von Dopamin und Serotonin fördern – jene Botenstoffe, die uns mit Wohlbefinden, innerer Ruhe und Motivation verbinden.

Heilung passiert nicht nur im Kopf. Sie beginnt da, wo du deinen Körper wieder bewohnst – und dich einlässt auf das, was hier und jetzt geschieht.