Hilfe, es wird Sommer ;)
Der Bärlauch blüht, das Gras könnte grüner nicht sein, es summt und brummt – Insekten, groß und klein, fliegen durch die Gegend. Menschen sind unterwegs: mit dem Fahrrad, dem Laufrad, Einrad, Inlinern, Skateboard – und irgendwo schlängeln sich Lastenräder und Radanhänger vorbei.
Es brummt nicht nur neben dem Kirschbaum, der in voller Blüte steht, sondern auch aus offenen Cabrios und von den Balkonen. Oh ja – Musik, Zigarettenrauch, Geklimper und Geklapper aus den Hinterhöfen der Großstadt. Es ist Frühling, Früh-Sommer, warm, lebendig – die warme Jahreszeit ist eröffnet.
Endlich Sonnenschein!
Doch ich bin überreizt.
Das grelle Licht der Sonne blendet mich – im April sieht man mich fast nur mit Sonnenbrille, weil ich mich erst langsam an diese intensive Reizflut gewöhnen muss.
Die Zeit auf dem Balkon genieße ich am liebsten vormittags oder ganz, ganz früh – bevor die Stadt erwacht, bevor halb Leipzig auf den Außenanlagen sitzt, redet, singt und sich vergnügt.
Dieser Übergang von einer Jahreszeit zur nächsten kann für Menschen mit Hochsensibilität eine Herausforderung sein.
Als ich das Buch von Elaine Aron gelesen habe, konnte ich endlich Worte dafür finden, wie ich mich jahrelang gefühlt hatte. Es stellte sich heraus: (Hoch-)Sensibilität ist angeboren und betrifft etwa 20–30 % der Bevölkerung. Unser Nervensystem ist feinfühliger – wir nehmen mehr Reize wahr, intensiver, und sind dadurch schneller überreizt.
Nicht zu vergessen: Es ist ein Geschenk.
Wir bekommen Pipi in den Augen, wenn wir einen Regenbogen sehen. Die Schönheit der Welt geht direkt ins Herz. Wir staunen, wir lieben intensiv – und tragen wertvolle Geschenke für die Welt in uns.
Hochsensible Menschen lieben den Frühsommer.
Wir sehen jeden Löwenzahn und verlieben uns in sein sommer-sonnengelbes Strahlen, wir riechen den Regen und spüren, wie jeder Baum erwacht und sein Blätterkleid entfaltet.
Gleichzeitig erleben wir eine Überreizung – durch all die Feiern, die nun im Außen stattfinden. Die sommerlichen Aktivitäten, das Leben in Bewegung. Und – so wie ich in der Großstadt – durch die vielen, vielen Menschen mit ihren Geräuschen, Gesprächen, Stimmen, Motoren, Musik. An deren Lautstärke man sich als hochsensible Person erst einmal wieder gewöhnen muss. Es ist, als würde plötzlich ein Feuerwerk stattfinden, nachdem die Straßen lange still und schneebedeckt waren.
Menschen mit (Hoch)Sensibilität sind keine Schwächlinge, Mimosen oder “müssten sich einfach mal mehr zusammenreißen”!
Wenn du Jahreszeiten intensiver als deine Mitmenschen wahrnimmst, bist du nicht verrückt oder falsch und stellst dich auch nicht doof an! Diese angeborene Fähigkeit wird gerade mehr denn je von der Welt gebraucht! Dringlichkeit, Hektik, Stress – und immer schneller dreht sich unsere Welt. Dabei ist es so wichtig, einen Gang zurückzuschalten. Deine Überreizung zeigt dir an: wow – zu viel, zu schnell … lass mal weniger Reize wahrnehmen, lass mal kurz durchatmen, lass mal langsamer machen.
Und es gibt das Konzept, dass gerade im gesellschaftlichen Zusammenleben, als wir noch in Sippen zusammen sammelten und jagten, genau diese Hochsensibilität das Überleben der Gruppe sicherte:
Hochsensible bekamen Jahreszeitenwechsel mit, um zu warnen: “Hier wird’s bald schweinekalt, lass noch mal ein Mammut erledigen!” oder
“Ein Sturm zieht auf, wir sollten alle zurück zur Höhle.”
Genauso auch zwischenmenschliches: “Diese beiden sind seltsam stumm und werfen sich ungewöhnlich aggressive Blicke zu – lasst uns zusammensetzen und klären, was euch aneinander stört.”
Und so lädt der Frühsommer uns ein, zu sehen, warum eine Überreizung damit einhergeht: Fülle! Wachstum! Veränderung!
Der Grund der saisonalen (mal kürzeren, mal längeren) Überreizung liegt daran, dass bald Gurken wachsen und ich sie direkt vom Hochbeet in meinen Mund stecken kann. Der Grund der Überreizung ist eine Üppigkeit an Pflanzen und Blüten. Auf Salate mit selbst geernteten essbaren Blüten, auf Limos aus Zitronenmelisse auf dem Hochbeet.
Die Energie der Üppigkeit und des Wachstums kann überreizen, keine Frage. Doch was bringt sie auch mit?
Eine Zeit mit erdigen Füßen, weil wir barfuß durch den Park laufen konnten.
Eine Zeit mit ganz vielen Sommersprossen auf der Nase.
Eine Zeit mit Eiscafés und dem Lieblingsroman im Lieblingscafé am Fluss.
Eine Zeit, bei der wir in Sekunden aus dem Haus als Familie sind, weil keine acht Schichten wärmender Kleidung angezogen werden müssen.
Eine Zeit im Schrebergarten mit der lieben Freundin und tiefen Gesprächen.
Eine Zeit mit nachmittäglichen Sprüngen im erfrischenden See.
Eine Zeit mit lautem Kinderlachen, die durch den Rasensprenger hüpfen.
Eine Zeit zum Lesen, Spielen, Malen, Töpfern und Radeln.
Was auch immer die Zeit für dich mit sich bringt:
Sage Ja zur Üppigkeit.
Sage Ja zu dir selbst.
Ideen wie du die saisonale Überreizung lindern kannst
Plane reizarme Zeiten ein
Schaffe dir reizarme Zeiten an reizarmen Orten. Vielleicht kannst du einmal in der Woche einen freien Vormittag einplanen und dann zu dem See fahren, der weniger besucht wird.
Dimme das Licht. Mache abends eine Kerze an. Vertrau mir!
Fünf Minuten mit einem Augenkissen auf der Couch liegend können die Welt für dich verändern!
Noch weniger soziale Medien – wirklich! Schau mal, wann dich dein Handy am meisten überreizt. Ich kann zum Beispiel sehr gut abends abschalten, auch wenn ich vorher am Handy scrolle oder meine koreanischen Serien schaue. Doch am Morgen – wenn ich sehr früh am Tag zum Handy greife … das ist eine sehr sensible Zeit für mich, und gerade in der Zeit der saisonalen Überreizung versuche ich, es nicht zu machen. Klar kommt’s trotzdem vor, aber ich erinnere mich bewusst, erst ab einer bestimmten Uhrzeit draufzuschauen.
Reduziere deinen sensorischen Input: Trage die Haare hochgebunden – im Fall, dass Schwitzen im Nacken eine zusätzliche Überreizung ist. Laufe öfter im Schatten, nimm den Weg, der zwar ein Umweg ist, aber verkehrsberuhigter. Putze ohne das Hörspiel, oder bitte die Kids, ihre Musik mit Kopfhörer zu hören. Das ist okay! Bald hat sich dein Nervensystem an die Üppigkeit des Sommers gewöhnt.
2. Natur als Regulation
Nutze die drei Ws: Wald, Wasser, Wiesen und verbringe dort Zeit. Wenn du keine Zeit in der Natur einplanen kannst, dann hole die Natur zu dir: Kräutertees oder Infusionen mit Eiswürfeln, abendliches Einölen und Erden mit ätherischen Ölen und Körperöl, Playlists mit Waldgeräuschen, Regen oder Wasserfällen – gibt’s auch bei YouTube.
Meine Intuitionslehrerin empfiehlt, sich eine Pflanze zu suchen, die gerade in voller Blüte ist, um sich mit der Üppigkeit zu verbinden. Ein Baum, eine Blume oder ein Kraut, das blüht – besuche es. Wenn es essbar ist, kannst du es in dein Abendbrot einbeziehen oder Tee daraus machen. Manchmal kann genau diese Üppigkeit der Pflanzen uns beim Runterkommen helfen.
Nutze den Regen. Ein Regenspaziergang klingt natürlich erstmal unbequem. Doch in dieser Zeit ist meist wenig los, und es fühlt sich sehr befreiend an – als ob der Regen die Überreizung von einem abspült.
Magst du teilen, was dir in Zeiten saisonaler Überreizung gut tut? Vielleicht entsteht so eine ruhige, wertvolle Sammlung an Inspiration in den Kommentaren. Danke, dass du deine Erfahrung mit uns teilst – wenn es sich stimmig anfühlt.